Die Obstbaum-Kultivierung hatte für die Menschen schon lange vor Christi Geburt eine große Bedeutung. Im alten Persien wurden ebenso Obstbäume kultiviert wie bei den Griechen und Römern.
Vermutlich waren es auch die Römer, welche die ersten Stecklinge in den Gärten ihrer Villa Rustika im Kraichgau anpflanzten. Bereits 480 n. Ch. wurden salische und bayrische Gesetze erlassen, die die Beschädigung von Obstbäumen und den Diebstahl von Obst bestraften. Diese Tatsache zeigt, wie wichtig die Bedeutung von Obst für die Ernährung der Bevölkerung war.
Karl der Große regelte 800 n. Chr. in seinen 'Capitulare de villis' unterschiedliche Handhabungen in Bezug auf Obst und dessen Anbau und verpflichtete zum Beispiel junge Hochzeitspaare, einen Apfelbaum zu pflanzen. Mönche schufen in Klostergärten die ersten Voraussetzungen für die weitere Kultivierung von 'Äpfele, Birnle und Pläumle'.
Das Veredeln von Bäumen war zwischen 1000 und 1400 n. Chr. eine fast geheime Angelegenheit und blieb dem 'Magister Pomi' oder auch 'Pelzer' vorbehalten. Erst ab der Barockzeit (1575 - 1770) waren auch Pfarrer und Schullehrer in Obst- und Weinbau kundig. Apfelwein gab es fast in jedem Keller und war quasi der 'Wein des armen Mannes'. Ab dem 16. Jhd. wurde aus den Mostresten im darauffolgenden Jahr auch 'Schnaps' gebrannt. Auf den Geschmack kam es damals allerdings weniger an.
Zwischen dem 17. und 19. Jhd. erlaubten fast 200 kriegerische Jahre dem 'gemeinen Bauer' keine Weiterentwicklung des Obstanbaus mehr. Ganz im Gegenteil; ein großer Teil des vorhandenen Wissens über Anpflanzung, Obstsorten und deren Veredelung ging verloren. Das Land war verwüstet, ausgebrannt und die Bevölkerung auf ein Minimum reduziert. Trotz der hohen Verluste durch den 30-jährigen Krieg in Bezug auf die Bevölkerungsdichte sowie diverse Erbfolgekriege und der Pest, litten die wenigen übrig gebliebenen Menschen großen Hunger.
Erst im 18. Jhd. schmückten französische Könige ihre Schlossgärten wieder mit Obstbäumen und wurden mit den Jahren zum absoluten Zentrum der Pomologie. Bereiste Markgrafen und Fürstbischöfe trieben auch im Kraichgau nach und nach die 'Kultivierung der Landbevölkerung' und demzufolge auch des Obstanbaus wieder an. 1795 war Johann Caspar Schiller, der Vater von Friedrich Schiller, einer der ersten Oberaufseher der herzoglich-württembergischen Baumschule auf der Solitude bei Stuttgart.
So wie im Mittelalter die Grundidee des 'Merkantilismus' das Handeln prägte, kam im 17. Jhd. die Gegenbewegung der 'Physiokraten' auf. Nicht mehr der Handel und die Bodenschätze sondern einzig und allein die Qualität des Bodens galt als Grundlage und Lösung aller Probleme. Hieraus entstand das Umdenken in Bezug auf Bodenqualität, Fruchtfolge und Düngung.
Im 18 Jhd. gab es eine große Mostkultur und Erlesenes wie die 'Champagner Birne'. Für die Stuttgarter Obstmesse wurde im 19. und 20. Jhd. ein gigantischer Aufwand betrieben, was den Stellenwert von Obst zu der damaligen Zeit wiederspiegelt. Im Kraichgau waren es auch die 'Glanzkirschen', die sich einer großen Beliebtheit erfreuten.
Durch den findigen Geist des Ferdinand Oechsle und dessen Mostwaage, konnte alsbald auch der Zuckergehalt gemessen werden. Und durch die Eröffnung der Waghäusler Zuckerfabrik 1836 konnte Obst auch gezuckert und eingemacht werden. Bei jedem Festtagsessen wurde etwas mit Obst gereicht.
Die mühsame Arbeit und die zeitaufwendige Pflege lohnte sich heute kaum mehr. Umso mehr ist es zu begrüßen, dass sich neue Konzepte etablieren und Initiativen dafür sorgen, dass die Tradition des Obstanbaus im Kraichgau wieder neu auflebt.
Denn was wäre der Kraichgau ohne seine unzähligen und malerischen Streuobstwiesen, die zu jeder Jahreszeit ein 'Augenschmaus' sind.
(Quelle: Obstwiesen im Kraichgau, Verlag Regionalkultur)
Bilder: Walter Batzler Kraichtal